Fokus Interview
Eine Lösung in der Klimafrage liegt auf dem Tisch. Jetzt sei es am Volk, sagt Nationalrat Alex Farinelli. Der Tessiner FDP-Politiker ist seit Anfang 2020 Mitglied des Politischen Beirats des SVIT Schweiz.
Interview Ivo Cathomen, Fotos Urs Bigler.

Die Tessiner Bauwirtschaft wurde durch den Covid-Shutdown besonders hart ­getroffen. Mit welchen Folgen?

Im Unterscheid zur übrigen Schweiz waren die Baustellen im Tessin für vier Wochen geschlossen. Dazu kamen die Erschwernisse für Grenzgänger aus dem stark betroffenen Oberitalien und die eingeschränkte Materialversorgung. Wir gehen derzeit von Umsatzeinbussen im Baugewerbe von 10 bis 15 Prozent in diesem Jahr aus. Es bleibt abzuwarten, ob ein Teil davon noch aufgefangen werden kann. Aber die allgemeine Wirtschaftssituation im Tessin stimmt mich nicht zuversichtlich.

Verzeichnete das Baugewerbe Konkurse?

Nein, dank der Kurzarbeitsentschädigung und der Bürgschaften konnten diese vorerst abgewendet werden. Aber die längerfristigen Folgen sind noch ungewiss.

Hat die Bauwirtschaft im Kanton Tessin strukturelle Probleme?

In den letzten zehn Jahren hatte die Bauwirtschaft goldene Jahre – dank grosser Infrastrukturprojekte wie Alptransit, tiefer Zinsen und wegen der deutlich verkürzten Reisedauer aus der Deutschschweiz. Das heizte die Bautätigkeit im privaten Sektor an. Wir gehen davon aus, dass sich das Klima für die Bauwirtschaft nun nachhaltig abkühlen wird. Ein eigentliches strukturelles Problem ist es aber nicht.

Die angeheizte Produktion hat in der Tessiner Immobilienwirtschaft hohe Leerstände zur Folge. Wie beurteilen Sie die Lage?

Die Überproduktion der letzten Jahre ist das eine, die zuletzt stagnierende Bevölkerungsentwicklung das andere. Die hohe Wohnungsproduktion resultierte in erhöhten Leerständen, langen Insertionszeiten und moderaten, eher rückläufigen Mietzinsen.

Seit 2016 ist das Zweitwohnungsgesetz in Kraft. Wie hat es sich bisher ausgewirkt?

Die Folgen sind in der Peripherie wie beispielsweise dem Maggia- oder Verzascatal mit über 20 Prozent Zweitwohnungen einschneidender als in den Ballungszentren. Wir müssen uns vor Augen führen: In den Berggemeinden stehen viele Häuser leer, weil die Bewohner abgewandert sind. Diese Häuser können nicht in Zweitwohnungen umgenutzt werden. Sie werden demzufolge auch nicht unterhalten oder erneuert. Die starren landesweiten Regeln haben für Gemeinden mit rückläufiger Bevölkerungszahl längerfristig verheerende Folgen.

Aber das Tessin hat man dem «Rustico­Artikel» im Raumplanungsgesetz eine Sonderregelung erhalten ...

In der Praxis hilft der Artikel kaum. Die Erneuerung der Rustici ist teuer, der Bewilligungsprozess langwierig und der Ausgang ungewiss. Die meisten Eigentümer lassen darum die Finger davon.

In der nationalen Politik wird derzeit viel über Wirtschaftsmassnahmen und Unterstützung geredet. Aus Ihrer Tessiner Perspektive: Wie kommen wir am besten aus der Corona-Krise?

Ich schicke voraus, dass die rasche und unbürokratische Hilfe für Unternehmen unschätzbaren Wert hatte und ganz untypisch für unsere gewohnt langsamen politischen Prozesse war. Nun müssen wir aber unbedingt rasch zu einer neuen Normalität übergehen und Massnahmen zurücknehmen.

Heisst «neue Normalität», dass gewisse Veränderungen Bestand haben werden?

Das hängt davon ab, ob und wann ein Impfstoff zur Verfügung steht und ob sich ein genügend grosser Anteil der Bevölkerung impfen lässt. Dann ist eine Rückkehr zur alten Ordnung möglich. Bis dahin werden wir mit Einschränkungen leben müssen, was gewisse Wirtschaftssektoren tangiert und länger Unterstützung erfordert. Ich denke dabei unter anderem an die Bereiche Kultur und Sport.

Fördern wir damit nicht eine Abhängigkeit vom Staat?

Eines ist klar: Wir dürfen den notwendigen Strukturwandel nicht durch staatliche Unterstützung bremsen und Unternehmen künstlich am Leben erhalten. In der Wirtschaftsgeschichte sind immer wieder Sektoren verschwunden und neue entstanden. Im Endeffekt hat dieser Strukturwandel allen geholfen.

Wie grenzt man Pandemie-Hilfe von der Strukturpolitik ab?

Durch befristete Unterstützung, rückzahlbare Kredite und vor allem Eigenverantwortung. Die Wirtschaftsordnung in unserem Land ist ein Erfolgsmodell. Daran müssen wir festhalten.

 

Lesen Sie das ganze Interview mit Alex Farinelli in der Immobilia, Oktober 2020.